Letzte Woche war ich nach langer Zeit endlich wieder einmal für ein paar Tage in London. In nächster Zeit werden deshalb einige Artikel zu dieser nach wie vor außergewöhnlich faszinierenden Metropole erscheinen. Los geht es mit einem vergleichsweise ausführlichen Artikel zu einem bekannten Stadterneuerungsprojekt im Osten der Stadt: Canary Wharf. Heute einmal sehr strukturiert. P.S. Durchhalten, Fotos folgen weiter unten.
Der
Aufstieg
Im
Zuge der Kolonialisierung weiter Teile der Welt durch das Britische Empire und
die beginnende Industrialisierung weitete sich der internationale Handel und
mit ihm der Schiffsverkehr aus. Damit einher gingen steigende Ansprüche an die Hafenanlagen,
und so kam es ab 1696 mit dem Bau der Greenland Docks zu einer Verschiebung der
Hafenanlagen vom Zentrum Londons in tieferes Wasser nach Osten. Mit dem Bau des
ersten Schleusenhafens - den West India Docks (1802) - begann sich das Gebiet
zum neuen Hafen Londons zu entwickeln. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts kamen
weitere Docks hinzu und es siedelten sich zunehmend auch Zulieferbetriebe und
Dienstleistungsanbieter verschiedenster Art an. Anfangs der 60er Jahre des 19.
Jahrhunderts waren sodann mehr als 20'000 Männer im Hafengebiet tätig und es
entstanden neue Wohngebiete für die Arbeiter. Die ersten Jahrzehnte des 20.
Jahrhunderts waren noch bis Mitte des Jahrhunderts geprägt von florierendem Handel
und zunehmendem Wohlstand.
Der
Abstieg
Die
neuen Entwicklungen in der Schifffahrt zwischen 1960 und 1970 bedeuteten das
Ende des Hafens in seiner bisherigen Form: Als Folge des globalisierten Handels
wurde der zeit- und kostenintensive Stückgutumschlag ab den 1960er Jahren
weltweit durch die Containertechnologie und das viel größere Containerschiff
ersetzt, was die Tragfähigkeit der Docklands zunehmend überforderte. Dieser
Prozess endete 1980 in der Schließung der Docks, was wenig überraschend
einschneidende ökonomische und soziale Veränderungen nach sich zog.
Die
Top-Down-Regenartion
London
zählte trotz des Niedergangs seines Hafens auch um 1980 zu den wichtigsten Global Cities der Welt. Dementsprechend waren viele wirtschaftliche Prozesse,
die sich in einer Stadt wie London territorialisierten, von globaler
Reichweite. Gleichzeitig trug der Globalisierungstrend der weltweiten
Zerstreuung ökonomischer Aktivitäten gemäß der Koryphäe Saskia Sassen dazu bei,
dass sich eine Nachfrage entwickelt hatte für neue Arten einer territorialen
Zentralisierung hoher Management- und Kontrollfunktionen. Diese Rolle Londons
als Global City - verstärkt durch den lokalen Mangel an Bürofläche (City of
London) sowie staatlich geförderte Steuervergünstigungen für das Gebiet der Docklands (Thatcherism)
- war daher eine wichtige Antriebskraft für die bauliche und von oben
gesteuerte Regeneration der Docklands.
Die
heutigen Docklands
Aus Docks für Industrie wurden Türme für
Banken. Obwohl das Gebiet immer noch einer globalisierten Insel und einem von
nationaler Identität gänzlich abgekoppelten Ort ähnlich ist, entstehen allem
Anschein nach auch beträchtliche Auswirkungen auf die umliegenden, traditionell
durch Arbeiterschichten geprägten Gebiete: War Canary Wharf - der anfänglich
entwickelte Teil der Docklands - zuerst fast ein völliger räumlicher Fremdkörper,
den zu erreichen erst eine Fahrt mit dem Taxi oder der Docklands Light Railway
durch sozial schwaches Ost-Londoner Gebiet erforderte, werden dort gegenwärtig nun
auch immer mehr Wohnhochhäuser (siehe Foto unten) gebaut und angrenzende Altbaugebiete werden
gentrifiziert oder zumindest transformiert.
Noch ist das Gebiet aber nicht so weit
verwurzelt, dass es von allen als attraktiv angesehen wird. Ein deutscher
Investmentbanker, der in Canary Wharf gearbeitet hat und nun in der City sitzt,
erwiderte uns gegenüber jedenfalls: „Wer will schon in Canary Wharf leben? Da
kann ich genau so gut in Gelsenkirchen leben.“ Es sei zu weit weg vom
kulturellen Leben der Stadt und dessen Dynamik. Zwar gibt es einige Restaurants
und zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten für die geschätzten 90’000
Arbeitnehmer, aber es gibt in unmittelbarer Nähe trotzdem nicht die zahlreichen urbanen Annehmlichkeiten der gewachsenen oder von unten transformierten Stadt.
Die Symbolik
1) Die Türme
entsprechen meines Erachtens physischen Machtmanifestationen einer in etlichen
Belangen globalisierten und postnationalen Welt. Früher der Tempel, dann die
Kirche, dann das Rathaus, dann die Fabrik oder der Bahnhof, heute der
Wolkenkratzer der global operierenden Firma. Was kommt morgen? The Cloud? Oder vielleicht die Renaissance der Höhle?
2) Als Einheit
gleicht besonders Canary Wharf Metropolis von Fritz Lang. Dieser Film von 1927
zeichnete schon in der Weimarer Republik das Bild der Stadt als Fabrik oder der
städtischen Fabrik innerhalb der Stadt sowie des Verhältnisses zwischen
unterschiedlichen Klassen. Die Docklands Light Railway führt die Arbeiter der
globalen Stadt auf Trassen in das Innere der Maschine (siehe Foto unten). Das Individuum ist im
wahrsten Sinne Humankapital für die kapitalistische Maschine, welche den
Weltmotor am Laufen hält. Wenig verwunderlich, dass der oben genannte
Investmentbanker von einer „möglichst effizienten Arbeitsumgebung“ gesprochen
hat. Die Umgebung (Struktur, Ausstattung etc.) soll die Leistung der
Einzelkomponenten optimieren.
3) Ein Gebiet
wie Canary Wharf verdeutlicht die Existenz von Global Cities par excellence. Die
alte europäische Stadt wurde zu klein, der Wachstumsdruck im Kampf um globale
Steuerungs- und Kontrollfunktionen und damit um Profite - auf jede Transaktion
kann potentiell eine Gebühr erhoben werden - zwang zu Expansion, die Expansion
manifestiert sich räumlich im Bau von ausgelagerten Orten postnationaler
Ästhetik. Fast identische Entwicklungen weisen auch Paris (La Défense) und Moskau (City, siehe hier auch mein Blogpost dazu)
aus, die beiden weiteren wirtschaftlich besonders relevanten Großstädte
Europas.