Wenn man viel im Osten ist, muss man - sofern man die Stadt wirklich auch nur annähernd in ihrer Gesamtheit verstehen will - auch mal in den Westen. Das gilt für Berlin genauso wie für London.
Also gingen wir im adeligen London flanieren. Das wäre ja eigentlich eine prächtige Freitzeitbeschäftigung. Wären da bloss nicht die endlosen Ströme bedenklich nachlässig gekleideter Touristen. Das sind dann eben die Rückseiten einer World Tourism City, einer Stadt mit 45 Millionen Übernachtungen im Jahr 2010 (Rang 1 in Europa, Berlin liegt mit 20 Millionen auf Rang 3, Paris mit 34 Millionen auf Rang 2).
War der Londoner Osten ehemals fast ausschliesslich Arbeitergegend und der Westen Heimat des Adels, ist auf den Straßen in Zeiten massiver Urbanisierung und globaler Umstrukturierungen eine Umkehr der Stile zu beobachten: das Stadtbild historischer Adelsviertel verkommt zu einer Fassade, bevölkert von vermeintlich funktional und unvorsichtig gekleideten Touristen. Der Osten als neuer Standort global operierender Konzerne und junger Kreativer mausert sich demgegenüber urplötzlich zur Schaubühne teurer Anzüge und hipper Untergrundmode.
Stimmt natürlich nicht. Respektive höchstens für einzelne hochfrequentierte Orte zeitgenössischen Tourismus wie die Gegend um Westminster Abbey oder den sowieso wenig charmanten Buckingham Palace. Belgravia (unterstes Foto) hingegen ist davon beispielsweise weit entfernt. Und geniesst der Flaneur dort bei La Bottega erstmal ein Stück fantastischen Zitronenkuchens sieht die Welt gleich wieder deutlich nobler aus.
Die Fassaden sind natürlich immer noch prächtig. Man muss bloss aufpassen welche Motive man wählt, sonst zeigt sich ganz schnell die ganze Realität aus gebautem und bepflanztem Raum sowie (!) Touristen.
Entschuldigung, dieser Text ist bösartig. Ich sehe auch öfter als mir lieb ist senil aus. Und Kleidung ist nicht alles. Aber eben auch nicht nichts. Zumindest nicht auf irdischen Argumentationsebenen, nicht wahr?