Montag, 3. Oktober 2011

Markthalle Neun in Kreuzberg

Am Wochenende waren wir auf unseren Streifzügen durch Berlin zu Gast in der "neuen alten" Markthalle Neun in Kreuzberg. Sie ist meines Erachtens ein sehr gut gelungenes Beispiel zeitgenössischer, lokaler Stadtentwicklung. Die Tatsache nämlich, dass an dieser historischen Stelle seit Samstag wieder wöchentlich Märkte stattfinden, ist doch einigermassen bemerkenswert.

 

Die Markthalle eröffnete vor 120 Jahren (1891) im Rahmen einer planmässigen Verlagerung vieler Wochenmärkte in vor schlechter Witterung und problematischer Hygiene besser geschützte Hallen. Heute gibt es von ursprünglich 14 solcher Hallen nur noch deren drei, denn im Unterschied zu vielen anderen Hallen wurde die Markthalle Neun während des Zweiten Weltkrieges nur vergleichsmässig geringfügig beschädigt. Deutlich mehr Schaden richtete gemäß der Historikerin Angela Martin dann 1977 der Einzug von Aldi an! Es folgten Drospa und KIK-Märkte und immer mehr Marktstände wurden verlassen.

Dann kam die Wende. Eine Projektgruppe arbeitete "(...) seit Anfang 2009 transparent und im offenen Dialog mit den AnwohnerInnen, dem Bezirk und dem Senat an der Entwicklung eines nachhaltigen Nutzungskonzepts für die Markthalle IX - ein Konzept im Sinne einer verantwortungsvollen Stadtentwicklung und den Interessen der Nachbarschaft." Die  Beteiligten haben sich in der Folge "(...) dafür eingesetzt, dass die Qualität des Nutzungskonzepts bei der Privatisierung der Eisenbahnmarkthalle eine Rolle spielen muss." So wurde erreicht, "(...) dass die historische Eisenbahnmarkthalle nicht durch den Höchstbietenden in eine weitere "Supermarkthalle" umgewandelt, sondern Gegenstand einer qualitätsbezogenen Ausschreibung wurde." (Markthalle9)

Seither wird aus einer Vision schrittweise Realität: "Eine Markthalle, die sich abgrenzt vom schnöden Discountereinheitsbrei und vielen kleinen Händlern eine Plattform bietet. Ein Ort mit Symbolcharakter für die bunte Vielfalt Kreuzbergs, seine wirtschaftliche Kreativität und soziale Integrationskraft." (Markthalle9)


Diese Vorhaben und das entsprechende Konzept werden, so scheint es, mit großem Erfolg umgesetzt. Unser Eindruck am Samstag war jedenfalls sehr positiv: angefangen mit der oben ersichtlichen Schaffung von Transparenz bezüglich Geschichte, Vision und Realisierung über die bisher gelungene Freilegung der ursprünglichen Architektur bis hin zu den verschiedenen Ständen und Einkaufsmöglichkeiten. Wir haben auf dem ersten Wochenmarkt jedenfalls mit Freude Blumen,  köstlichen Zwiebelkuchen, ökologischen Federweißer sowie - und das ist ungewöhnlich für einen Markt - die aktuelle Ausgabe von Monocle gekauft.


Nur eine Sache finde ich im Augenblick ein wenig bedauerlich. Die Vision sieht vor (siehe oben), dass der Ort ein Symbolcharakter für die "Vielfalt Kreuzbergs" und die "soziale Integrationskraft" werden soll und dem "schnöden Discountereinheitsbrei" der Garaus gemacht werden will. Ich aber finde, dass gerade das Nebeneinander von Aldi und unabhängigen Marktständen einen besonderen Reiz ausübt. Ist nicht dies die Vielfalt Kreuzbergs und die soziale Integrationskraft? Das nämlich dem Besucher der Markthalle die Wahl gelassen wird zwischen eben diesen beiden Polen, die doch meines Erachtens die Vielfalt Kreuzbergs ausmachen. Nur Aldi ist ganz und gar nicht Kreuzberg. Aber nur Marktstand ist vielleicht auch ein wenig bevormundend und bildungsbürgerlich. Ich weiß es nicht genau. Ich weiß aber, dass die Markthalle auf mich in ihrem aktuellen Übergangszustand mehr Reiz ausübt als eine von Discountern "gesäuberte" - gentrifizierte (?) - Markthalle.

Übrigens: vor oder nach dem Marktbesuch kann man im zugehörigen Weltrestaurant Markthalle sehr guten Kaffe trinken.


Mir gefielen der Raum und die Einrichtung, mit Ausnahme der teilweise ziemlich schrecklichen Lampen, so gut, dass wir am Sonntag Abend mit unseren Gästen gleich hier essen gingen. Das Wiener Schnitzel war sehr lecker. Und das Meckatzer Sonntagsbier aus dem Allgäu war schlichtweg sensationell!