In Moskau bin ich, wie 2,4 Milliarden andere Menschen auch pro Jahr (Stand: 2009), v. a. mit der Metro unterwegs. Die Moskauer Metro gilt als eine der 'schönsten' der Welt, viele ihrer Stationen gleichen Palästen. Und das wohl nicht zufällig: Den Stil des sozialistischen Klassizismus erhielten die meisten wichtigen Stationen in der kommunistischen Zeit unter Stalin. Er baute nicht nur unterirdische Paläste, sondern auch die sogenannten 'Sieben Schwestern'. Eine davon, die Lomonossov-Universität, ist die grösste Universität Russlands und auf einem Foto im letzten Blogeintrag abgebildet.
Es entsteht der Eindruck, dass, während andernorts der Siegeszug des Automobils bereits in vollem Gange war, in der kommunistischen Sowjetunion jener Zeit v.a. auf den öffentlichen Verkehr gesetzt wurde. Im Kapitalismus setzte sich das Individuum mit dem Automobil die Krone der Mobilität auf, im Kommunismus wiederum förderte die Führung das gemeinschaftlich-gesellschaftliche Fortbewegungsmittel Metro; klassenlose Gesellschaft siegt über das Individuum. Der Kommunismus hat also zumindest im Moskauer Untergrund bleibende Spuren hinterlassen. Man könnte wohl problemlos einen ganzen Tag damit verbringen, sich die prächtigsten Stationen der Moskauer Metro anzusehen.
Heute ist aber nicht mehr früher. Und das heisst: heute ist nicht mehr Kommunismus in Russland, auch wenn man auf dem Roten Platz beim Mausoleum von Lenin immer noch Gruppen von älteren Menschen sieht, die rote Fahnen über den Platz paradieren lassen. Seit einiger Zeit erlebt Moskau offensichtlich einen unheimlichen Boom im Individualverkehr. Abgesehen von Los Angeles kenne ich keine Stadt, in der so viel Verkehr auf den Strassen unterwegs ist. Das russische Wort für Stau: Probka! Fussgänger müssen meist Unterführungen benutzen, wenn sie eine der zahlreichen innerstädtischen und autobahnartigen Strassen 'überqueren' wollen.
Es sind ausserdem nicht nur einfach viele, sondern auch viele teure Autos unterwegs; Moskau gilt wohl nicht zu Unrecht als die Stadt der Milliardäre der Welt. Deshalb ist die Stadt sicherlich ein sehr interessanter Absatzmarkt für deutsche Automobilproduzenten - und für Lexus, die sieht man hier auch sehr oft. Dies auch deshalb, weil Autos anscheinend - viel stärker als in Westeuropa, insbesondere unter westeuropäischen Studenten und anderen urbanen Leuten in jenem Erdkulturkreis - ein sehr wichtiges Statussymbol darstellen. Wer etwas auf sich hält, fährt ganz sicher nicht Metro sondern Auto. Millionen oder Leasing sind die Stichworte in diesem Fall. Und weil die Wirtschaft Moskaus seit Jahren unheimlich schnell wächst, steigt auch die Zahl der Automobilisten rapide an. Damit kann der Ausbau der Infrastruktur nicht mithalten. Die Folge sind massive Staus und Strassenüberlastungen. Das scheint den Einheimischen jedoch relativ egal zu sein. Lieber Status im Stau als klassenlose 'kommunistische' Metro.
Bei meinen Autofahrten mit russischen Bekannten sind mir übrigens ein paar bemerkenswerte Dinge aufgefallen:
- Es wird geheizt bis zum Limit. Aussen herrschen harsche Minustemperaturen, innen mindestens 25 Grad. Gerne auch mehr. Man schätzt hier einfach den vermeintlichen Komfort, die Umwelt ist absolut kein Thema. Eine Begründung war auch: "Wenn ich weniger heize kann ich nicht mehr durchs Fenster sehen, denn dann beschlägt die Scheibe."
- Das die Umwelt kein Thema ist, zeigt sich auch daran, dass der Motor bei Standzeiten nicht ausgeschaltet wird. Als ein Bekannter das Auto für 5-10 Minuten verliess um in seine Wohnung zu gehen, hat er den Motor selbstverständlich nicht ausgeschaltet. Niemand sass in dieser Zeit im Auto, aber er wollte nicht, dass sich das Radio ausschaltet. Schön.
- Wenn ich mich auf der Rückbank anschnalle, kommt dies einer Beleidigung des Fahrers und dessen Fahrkünsten gleich. Wir waren jedenfalls die ersten Passagiere auf der Rückbank, die sich überhaupt jemals angeschnallt haben.
- Auf der MKAD, der immensen Ringautobahn um Moskau, gibt es Bushaltestellen. I like it. Ist dies der Grund, weshalb die regionalen Autobahnen Gerüchten zur Folge immer noch nicht europäischen Standards genügen?
- Oder sind es die Fussgängerstreifen, die über eine Ausfallautobahn aus Moskau hinaus ins Umland führen?
- Wer in einen Klub will, der an der Tür harte Moskauer 'Feis Kontrol' pflegt, sollte - so wurde mir erzählt - üblicherweise besser in einem Auto vorfahren und nicht zu Fuss kommen. Das ist für Loser. Ausländer haben aber anscheinend immer noch Privilegien, die gelten a priori als zumindest tendenziell reich.