Am Samstag war ich in Sankt Petersburg im Hermitage. Es gehört zu den größten Museen der Welt und beherbergt eine unüberschaubare Anzahl an Gemälden und anderen Kunstwerken. Der ausgestellte Teil der Sammlung wird v. a. im Winterpalast und den angrenzenden Gebäuden entlang des Neva-Embankments untergebracht.
Der Winterpalast ist eines der markantesten Gebäude im einer an ebensolchen Gebäuden nicht armen Stadt. Seine heutige äußere Erscheinung – der Palast existierte in kleineren und anderen Versionen schon länger – wurde Mitte des 18. Jahrhunderts in erster Linie vom italienischen Architekten Bartolomeo Rastrelli entworfen und entspricht wahrscheinlich am ehesten einer ‚russischen’ Version späten Barocks. Innen dominieren jedoch nicht nur Barock und Rokoko, sondern ebenfalls der Klassizismus; Katharina die Große soll, was innenarchitektonische Stile betrifft, ein ziemliches ‚Fashionvictim’ gewesen sein. Der Barock der Vorgängerzarin Elizabeth war ihrer Meinung nach Ende des 18. Jahrhunderts offensichtlich nicht mehr ‚comme il faut’. Wer kann es ihr verübeln? Allemal besser als die Vorliebe vieler russischer Zeitgenossen: Postmoderne Teufel.
Wo also heute unzählige Kunstwerke ausgestellt werden, residierten seit 1732 und bis zur kommunistischen Revolution 1917 die russischen Zare, von denen insbesondere Katharina die Große – und überaus Hässliche, by the way – die Sammlung begründete.
In der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung stand, lief ich in heldenhafter Ausdauer die 2. Etage ab! Zwar ist der architektonische Prunk überwältigend und die gestalterische Technik etwa italienischer Renaissance-Maler beeindruckend, doch kamen bei mir rückblickend kaum tiefere Gefühle auf. Irgendwie bin ich wahrscheinlich ein mangelhaft gebildeter Kunstbanause, aber die ewigen religiösen oder kämpferisch-kriegerischen Inszenierungen wecken in mir einfach nicht viel. Auch Rembrandt nicht. Summa summarum verbinde ich das Hermitage deshalb eher mit den Adjektiven ‚prunkvoll’ oder ‚eindrücklich’ als mit ‚herzergreifend’ oder ‚begehrend’. Ich wähle van Gogh oder Picasso vor Rembrandt oder da Vinci. Ich wähle Mondrian oder Kandinsky vor Rubens oder Goya. Die Letzteren sind mir in der Malerei meist irgendwie zu alt. Ein ‚zu alt’, welches es bei der Architektur wiederum nicht in dieser Intensität gibt. Was gibt es beispielsweise Schöneres als das Pantheon in Rom?
Einen Besuch des Hermitage würde ich jedoch selbstverständlich trotzdem empfehlen. Impressionismus und was danach kam gibt es dort nämlich auch, nur konnte ich mir diesen Teil der Sammlung selbst nicht auch noch zumuten. Ebenfalls gefallen hat mir in Russland bisher einiges in der auf Russland fokussierten Tretyakov Galerie in Moskau (z. B. ‚Rye’ von Shishkin oder die ‚Unequal Marriage' von Pukirev) sowie eine Fotoausstellung mit den 365 besten Laienfotografien aus dem Russland des Jahres 2010. Sie findet jedes Jahr auf dem Kunstgelände Winzavod statt, welches nach Meinung meines Twentysomething-Russischlehrers absolut verachtenswert sei. Ich sehe das ganz und gar nicht so, denn die präsentierten Fotos lösten bei mir – im Gegensatz zum Hermitage – deutlich emotionalere Regungen aus. Das ist auch etwas wert, auch wenn der Connaisseur jetzt vielleicht einwenden würde, dass Regungen bei mir demnach auf einem vergleichsweise niederen geistigen Entwicklungsstand ausgelöst werden. Dem würde ich nicht widersprechen wollen und mich stattdessen wieder den farbigen Rechtecken Mondrians zuwenden.