Wie gesagt war ich die letzten paar Tage in Sankt Petersburg. Über das Hermitage habe ich ja bereits berichtet, und zum Wesen der Stadt werde ich mich auch noch äussern. Nun möchte ich jedoch noch ein paar Worte dazu verlieren, wie man heutzutage von Moskau nach Piter - so nennen viele Locals ihre Stadt - reist.
Einerseits bestehen natürlich immer noch die traditionellen Verbindungen: Flugzeug und Nachtzug. Ersteres ist mir prinzipiell eher unsympathisch. Der Nachtzug wiederum soll Kult sein und ist wohl auch heute noch die bevorzugte Reiseoption des gemeinen Russen. Nicht unvernünftig muss ich sagen, denn in 8 Stunden überbrückt man so wenn nicht elegant dann zumindest pragmatisch die Nacht. Zudem kommt der ausländische Gast auf solchen Reisen oft in Kontakt mit Russen: Sie teilen dann erfreut ihre Verpflegungen mit dem Fremden; sprich Vodka und etwas zum Beissen.
Obwohl mich die Aussicht auf ein gepflegtes Wässerchen sicherlich nicht erschaudern lässt, bin ich trotzdem auch am anderen Russland interessiert. Deshalb habe ich die 650 Kilometer mit dem ersten Hochgeschwindigkeitszug des Landes überwunden, dem Sapsan (Wanderfalke):
Dieser Zug - gebaut von Siemens - steht für mich wie wenige andere Dinge für das potentielle Russland der Zukunft. Ein zweites Russland wenn man so will, denn die Nachtzüge und die gemütliche Gastfreundschaft werden dadurch nicht verschwinden, zu gross und schwerfällig ist dieses eurasische Imperium. Der Sapsan steht eher für das turbokapitalistische Russland, ein Land, welches aufholen und wenn möglich überholen will. Was symbolisiert diesen Anspruch besser als Hochgeschwindigkeitseisenbahn? Es hat mich deshalb auch wenig verwundert, dass auf dem Cover des Informationsblattes, welches bei jedem Fahrgastsitz liegt, die Moskauer City abgebildet ist:
Nicht der Kreml, nicht die russischen Wäldern; nein, mit dem Sapsan fährt der russisch oder - noch schöner - international agierende Businessmann in hoher Geschwindigkeit in das Moskauer Finanzzentrum. Er könnte auch mit dem TGV in die Pariser Défense oder mit dem Eurostar in die Londoner Canary Wharf fahren. Oder mit der Maglev vom Flughafen ins Zentrum Shanghais. Was hier zum Ausdruck kommt ist ein in den letzten 10-15 Jahren entstandenes Russland, ein Russland, das mitreden will. Zur Moskauer City übrigens bald mehr an dieser Stelle...
Während der ersten 6-7 Minuten Fahrzeit ertönen im Sapsan permanent Durchsagen, selbstverständlich jetzt auf Russisch und Englisch. Man erfährt u. a. die Höchstgeschwindigkeit des Zuges (aufgrund der noch mangelhaften Gleisanlagen zurzeit 200 - 250 kmh) und wird darauf hingewiesen, dass das Servicepersonal während der Fahrt gerne eine Hotel- oder Taxireservation vornimmt. Derweil bestellte der idealtypische 'new Russian' vor mir im Bistrowagen schon um 13.45 Uhr reichlich Vodka. So viel Spass und Tradition muss sein.
Die Fahrten warn in beiden Richtungen jeweils auf die Minute pünktlich, der Service meines Erachtens sehr gut. Auch schön war die Rückkehr nach Moskau deshalb, weil sie mit großem Stolz zelebriert wird. Die Ansage im Zug lautet ungefähr: "Welcome to Moscow, capital of Russia!" Einmal ausgestiegen ertönt auf dem Bahnsteig ein Musikstück auf Moskau, herrlich. Man stelle sich vor, in Bern würde der Berner Marsch erklingen wenn man mit dem IC aus Zürich einfährt.
Wenn man zwischen den beiden (potentiellen) Globalcities unterwegs ist, sieht man übrigens nichts als das alte Russland:
Ich mag das übrigens genau so gerne, nicht das ich jetzt wieder als jämmerlicher Snob verstanden werde.