Dienstag, 23. August 2011

Stadterweiterung: Westside Bern (Part 2)

Im letzten Post habe ich die Landmarke im neuen Stadtteil Bern-Brünnen kurz vorgestellt: das Westside. Neben diesem Tempel des Konsums und der Unterhaltung entstehen seit Ende der Nullerjahre nach einem Überbauungsplan auch Wohnungen für über 2500 Menschen.

Im ersten Foto ist die entstehende Überbauung 'TGV' der Architekten Sued 5 zu sehen. Wohl nicht jedermanns Sache, aber ich als Urbanist hätte eigentlich nichts dagegen, direkt an der Bahntrasse zu wohnen - auch wenn die meisten Züge keine TGV sondern Langweiler sind. So wie ich. Aber wie auch immer. In Berlin gibt es ja auch viele Leute, die auf gar keinen Fall eine Wohnung ausserhalb Sicht- und Hörweite der S-Bahn beziehen würden. Sie gibt einem einfach dieses urbane Gefühl. Zur Architektur hingegen kann ich hier nichts sagen. Die Baufelder als Reihe entlang den Gleisanlagen finde ich jedenfalls klasse.


Gleich daneben liegt die inzwischen fertig gestellte Überbauung 'Rock On' von Bachelard + Wagner. Das Plus: Die Balkone sind wunderbar dekadent überdimensioniert, wie im V Huset in Kopenhagen. Das Minus: Der Name. Diese zeitgenössische Bezeichnung von Gebäuden ist einfach unsäglich. Immer 'Park', 'Rock', 'West', 'City' oder was auch immer - Hauptsache Premium- oder Jung-Und-Dynamisch-Konnotationen. Warum nicht mal 'Sleep On'? Das wäre doch glatt. Da würde ich sofort einziehen. Oder 'Haus Erwin'. Oder 'Balkonien 'till Amazonien'. Übrigens: Mir gefällt die Fassade mit ihren spezifischen Farben besser bei dramatischem Himmel. Scheint die Sonne sieht das ganze deutlich weniger interessant aus.


Wenig interessant finde ich an diesem Ort und auf den ersten, kurzen Blick auch das unten links ersichtliche Gebäude in Form einer auf einer Seite offenen Hofrandbebauung. Der Name? 'Haus Brünnen'. Well, not really, ein Anglizismus natürlich: 'Rear Window'. Die Jury lobte das Projekt als präzisen und klaren Beitrag an die Architektur der Moderne. Ich bezeichne es als Fremdkörper. Aber ich bin ja auch der Laie und nicht die Jury, Gott sei Dank. Die roten Gebäude heissen übrigens charmanterweise 'Come West' und sind von Gonthier Architekten. Langsam dämmert es auch mir: alle (!) Baufelder tragen englische Projektnamen. Da muss System dahinter stecken. Ganz sicher der Plan eines weit gereisten Immobilienentwicklers, der aus der großen, weiten Welt nach Bern kam und mit den Worten berichtete: "Heute nimmt man Englisch wenn man siegen will." Ein heller Kopf!


Nein, im Ernst jetzt. Was mir am besten gefällt sind nicht die aktuellen Wohnüberbauungen - die ja eigentlich im Gesamten recht gut an den Stadtrand von Bern passen -, sondern a) das prächtige Fussballfeld vor malerischer Kulisse (Bauernhof und Hochhäuser des Tscharnerguts) und eingebettet in vernünftige Landschaftsarchitektur sowie...


b) die an das Neubaugebiet angrenzende Architektur aus den 1960er Jahren. Der Gäbelbach von Eduard Helfer sowie Hans und Gret Reinhard gleicht unverkennbar den 'Wohnmaschinen' von Le Corbusier und sieht im Kontrast zur landwirtschaftlichen Fläche im Hintergrund auch heute noch besser aus als das meiste, was direkt nebenan gebaut wird.


Ein Hoch auf die wahre Moderne. Und ein Hoch auf den Namen Gäbelbach. Heute würde dieses Gebäude vermutlich 'Premium Terminator' heissen. Oder eine Firma sichert sich die Namensrechte daran und tauft es um in 'Wälti Heiztechnik Penthouses'.