Samstag, 24. März 2012

Tresor Berlin


Letze Nacht waren wir erstmals und letztmals im Tresor Club. Warum erstmals - oder warum überhaupt? Damals, Ende der 1990er Jahre und in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends, war der Tresor eines meiner tragischerweise unerreichbaren Sehnsuchtsziele. Ich war entweder zu jung oder hatte keine Freunde, die mit mir eine Begeisterung für Musik im Allgemeinen und subkulturelle elektronische Musik im Speziellen teilten. Überdies lag Berlin nicht vor meiner Haustür.

Der Tresor öffnete 1991 in der Nähe von Leipziger und Potsdamer Platz, wo während der Teilung Deutschlands die Berliner Mauer stand. Ich würde behaupten, dass der Tresor für die 90er Jahre das war, was das Berghain für die 00er Jahre (und darüber hinaus?) war: die globale Zentrale für Techno. Von diesem Ort verlief die legendäre und noch heute bestehende Achse in die Gründungsstadt des Techno, nach Detroit (USA). Das klang Ende der 90er Jahre ungefähr so (sehr geiler "Tresor 1998"-Mix von Silent Servant)!

2005 musste der ursprüngliche Tresor Club jedoch einem Neubau weichen und zügelte deshalb 2007 in ein altes Heizkraftwerk an der Spree. Und gestern legte nun einer der Protagonisten des Detroit-Techno ein 6-Stunden-Set hin: Jeff Mills.


Ich habe den Wizard schon mehrmals gesehen und dachte, diese Nacht wäre die beste Gelegenheit zumindest einmal den Tresor zu besuchen und vielleicht, ja vielleicht den Spirit des Tresor der 90er Jahre zu spüren.

Ein wenig skeptisch war ich ja schon im Voraus und die Vorzeichen für die Party waren schon in der Warteschlage relativ eindeutig. So war ich überzeugt davon, dass die kreischende Gruppe 18 Jahre alter Italiener und Italienerinnen vor uns an der Türe ein eindeutiges und teutonisch strenges "Nein!" vernehmen würden. Dem war mitnichten so und ich war - als bornierter Veteran - erstmals an diesem Abend tief schockiert. Was die Umstände nicht besser machte war der mit Zigarettenwerbung bedruckte 'Sonnenschirm' über der Eingangstüre. Condor to Mallora? Schlussendlich war auch die Tatsache, dass der Tresor im Jahre 2012 seinen Namenszug über dem Eingang hängen hat wenig ermutigend. Renate, AB, Loftus Hall, Berghain - ich kenne keinen vernünftigen Club, der heutzutage so auch sich aufmerksam macht. Faustregel ist eher: je unscheinbarer desto besser; es ist ein Versteckspiel, motiviert durch Distinktionsbestrebungen "for those who know", wie auch Jeff sagen würde.

Innen ging es leider ähnlich weiter: in der Mehrheit ein anstrengendes Publikum, Zigarettenverkaufsstände, vergleichsweise wenig begeisternde Klangqualität und eine Raumästhetik, die für mich einfach - es klingt lächerlich, ich weiss - zu sehr 90er Jahre ist. "It's soooo like 1990s, you know?" Die monumentale Industrieästhetik des Tresor spricht mich 2012 einfach nicht mehr wirklich an. Früher war das sensationell, sei es in einem Rohstofflager in Zürich oder eben in Berlin oder an irgend einem anderen deindustrialisierten Ort auf diesem Planeten. Und auch heute gibt es noch Orte, wo ich diese Raumsprache galanterweise noch durchgehen lasse, etwa im Berghain oder im Trouw in Amsterdam. Aber sonst sind kleinere Clubs und solche in alten Büros, Kantinen oder  Wohnhäusern heute irgendwie aufregender.

Wenn ich von dieser Vorliebe abstrahiere, anerkenne ich jedoch gerne die Qualität des Tresor-Dancefloors unten im Keller des Kraftwerks. Hier, auf einem von insgesamt drei Tanzbereichen, legte zudem hinter Gittern und in dickstem Nebel Vince Watson auf, seit Jahren einer meiner Favoriten auf dem weiten Feld des Techno.


Auch Jeff Mills ging ab! Und sogar Patrice Scott, ein von mir hoch geschätzter, zeitgeistiger DJ und Produzent aus Detroit, war da. Trotzdem und wie gesagt: erstmals und letztmals war ich gestern im Tresor. Die Diskrepanz zwischen meiner Idealvorstellung des Tresor - wie sie im kürzlich veröffentlichten und empfehlenswerten Buch "Der Klang der Familie" wunderbar zur Geltung kommt - und dem Zustand heute ist für mich einfach nicht stemmbar. Da male ich mir fortan lieber bei der Lektüre oder unter dem Einfluss damaliger Musik Bilder von früher aus und gehe statt dessen strikt in die heute tonangebenden Clubs.


Übrigens ist es schon schwer nachvollziehbar, wie ein Club, der sowohl zu seinen Anfangszeiten als auch heute von ein und demselben legendären Betreiber geführt wird, sich vermeintlich so stark verändern kann; von totalem Underground und musikalischem Innovationsraum hin zu Lucky Strike 'Sonnenschirm' und musikalisch mehrheitlich desinteressierten Berlin-Techno-Touristen. Da schmerzt schon ein wenig das Herz, wenn man aus "Klang der Familie" liest und zwei Stunden später metaphorisch eins auf die Fresse kriegt in der Realität anno 2012. Schnell zurück in den Untergrund oder auf die Lesecouch zu Hause.