Ehrlich gesagt wusste ich nicht, auf was ich mich mehr freuen sollte - auf die preislich reduzierten Markenkleider oder auf das sich abzeichnende soziokulturelle Spektakel in den weiten Industriehallen auf dem Berliner Arena-Gelände... Die Antwort bekam ich dann aber schneller als mir lieb war.
American Apparel, die sagenumwobene Bekleidungsmarke aus dem sonnigen Los Angeles, rief die Berliner auf zu einem Fabrikhallen-Ausverkauf. Schon auf den Werbeinseraten stand "freier Eintritt"; man konnte sich also denken, welche Inszenierung sich die Kalifornier wohl ausgedacht haben mögen. Hollywoodreif. Oder hat irgendjemand in seinem Leben schon mal Eintritt bezahlt, um in einem Laden Kleidung zu kaufen? In Ordnung, zugegeben, dieses Warehouse-Sale-Wochenende dürfte für die Gerüchten zufolge in finanziellen Nöten steckende Kultmarke erhebliche logistische Kosten bedeuten. Aber trotzdem: ich würde zweifellos keine 5 Euro Eintritt bezahlen für eine Halle voller Restposten. Aber man weiss ja: es gibt nichts was es nicht gibt. Vielleicht wäre es betriebswirtschaftlich sogar sinnvoll gewesen, einen bescheidenen Eintrittspreis zu verlangen - vorgetäuschte Exklusivität und so. Einige Leute wären dann zwar wohl empört draussen geblieben. Andere hätten sich aber vermutlich gesagt: "Mensch, wenn ich schon Eintritt bezahlt habe, will ich jetzt aber auch etwas kaufen. Sonst lohnt sich das ja nicht!" Herrlich. Vor dem Eingang standen auf jeden Fall Absperrungen und Türsteher, die ganz sicher nicht zur Zielgruppe von AA gehören.
Dass diese Veranstaltung ein Event sein würde und kein simpler Kleiderverkauf war spätestens nach dem Passieren der Schranken klar. Der Türsteher wollte mich zuerst gar nicht reinlassen, ich hätte zu breite Hosen an und trüge keine Jutetasche, bemerkte er. Kleiner Scherz am Rande, haha. Drinnen dröhnte um 10 Uhr morgens Elektro, wie die Jugend von heute sagen würde. Etwas streng für mein Gemüt. Aber wir sind ja in Berlin, also war wohl einfach After Hour.
Obwohl die Fabrik erst seit einer knappen Stunde geöffnet hatte tobte erwartungsgemäss bereits ein Kampf um die wenigen Filetstücke. Die Botschaft wurde offensichtlich erhört! Bei einigen Zeitgenossen hatte ich den Eindruck, dass sie im Takt der Musik Kleidungsstücke in ihre Warenkörbe packten, also mit mindestens 130 BPM.
Die Frage, ob mich nun die angebotene Ware oder das aufgeführte Spektakel mehr in den Bann reissen würde, war, wie wahrscheinlich schon erraten werden konnte, nach wenigen Minuten geklärt. Beachtenswerte Mode fand ich kaum welche, zügige Hipster hingegen in einer noch selten gesehenen Dichte. Das war ja schön. Andererseits ist es aber machmal auch ernüchternd, wenn die Überraschung ausbleibt und sich das vermeintliche Klischee als ungeschminkte, gnadenlose Realität präsentiert. Aber: who cares, das Universum ist fair; schnappte sich einen Schal und stellte sich in die Warteschlange.
Nach der Hälfte der Warteschlange warf ich einen Blick zurück über meine Schulter. Es waren nun zirka 15 Minuten vergangen, in welchen man solch symbolreiche Sätze zu hören kriegte wie die folgenden beiden Beispiele:
a) "Mist, ich muss im Büro anrufen, es dauert hier länger, ich komme zu spät zur Arbeit."
b) "Diese Hose ist niedlich. Ich weiss halt nicht, ob sie passen wird."
Aber das ist ja nicht so wichtig, schliesslich bezahlt man geschätzte 70 % weniger als im Alltag. Dann kann man schon mal die Katze im Sack kaufen, wie Hans-Rudolf jeweils zu sagen pflegte - in der Schlange vor dem Asia-Imbiss, oben bei mir in den Bergen. Ein Blick nach vorne deutete auf eine weitere Viertelstunde anstehen.
Nach einer guten Stunde spätkapitalistischen Anschauungsunterrichts war ich um einen fantastisch psychedelischen Schal für neun statt 22 Euro reicher. Gut gemacht!