Heute geht das nunmehr zweite Semester an der Humboldt-Universität zu Berlin zu Ende. Es war mein erstes Semester von nun insgesamt acht, das keine einzige Abschlussprüfung bedingte: Weder im Modul Verdichtungsräume, noch bei den Veranstaltungen zu den Migranten und der Kreativen Klasse und auch nicht in den Vorlesungen zur Baugeschichte (Klassizismus bis Moderne) und Stadtbaugeschichte (Antike bis Moderne). Letztere konnte ich im Rahmen eines Wahlmoduls als Teilnehmer besuchen, was nichts anders bedeutet als meine blosse Anwesenheitspflicht. Ähnliches galt auch für ein Seminar zur Stadtentwicklung durch Grossvorhaben (z. B. Öresund Brücke in Kopenhagen oder Elbphilharmonie in Hamburg und Flughafen BBI in Berlin). Man sieht: Es war ein durchwegs entspanntes Semester, jedenfalls im Hinblick auf den in der Vergangenheit manchmal auch deutlich grösseren Leistungsdruck.
Dieser Leistungsdruck ist sowieso ein Thema für sich. Nach einem Jahr lässt sich jedenfalls eindeutig und zweifelsfrei feststellen, dass an meiner alten Universität einiges mehr geleistet werden muss für die Gutschrift der sogenannten Credits. Hier in Berlin werden die Credits im Vergleich zu Bern mit beiden Händen verschenkt. Interessant ist dies in vielerlei Hinsicht:
Erstens sollte mit der Bologna-Reform meines Erachtens eine internationale Vereinheitlichung erreicht werden, beispielsweise was den Arbeitsaufwand betrifft. Ein Credit bedeutet demnach prinzipiell einen Arbeitsaufwand von 25-30 Stunden. So sollte man Leistungen vergleichen können. Und das tut man wahrscheinlich auch. Aber das sollte man nicht, jedenfalls solange die Reform nicht wirklich in die Realität umgesetzt wird. Ich arbeite hier für meine Credits deutlich weniger hart als Studenten an Schweizer Unis. Aber das kann der potentielle Arbeitgeber nicht erkennen, wenn er auf die Abschlüsse sieht. Humboldt-Universität zu Berlin klingt nach mehr Aufwand als es ist.
Zweitens eröffnet dies die Frage: Ist das jetzt nur schlecht oder, im Falle akuter persönlicher Faulheit gut, weil man weniger tun muss? Wahrscheinlich weder noch. Es ist einem Studenten frei, was er mit der gewonnenen Zeit anstellt. Er kann jeden Tag bis 12 Uhr schlafen, oder er kann eigenen Interessen - seien die auf das Studium ausgereichtet oder auch nicht - nach gehen. Dies scheint irgendwie dem deutschen Ideal des Studentenlebens zu entsprechen, jedenfalls in der Geographie. Mehr individuelle Freiheit, universitäre und nicht schulische Lernkultur, freie Entfaltung. Herrlich. Und ja, es macht Spass so. Ich fühle mich hier erstmals wie ein richtiger Student. Was mich bloss ärgert sind die Stimmen, die immer über zu hohe Arbeitsbelastung klagen an der Uni. Dabei leben sie im Paradies. So kommt es mir jedenfalls oft vor...
Ich kehre dem Campus Adlershof nun vorübergehend den Rücken zu. Morgen startet eine zwei Wochen dauernde Exkursion zu Stadtentwicklung in Leipzig, einer Stadt mit bewegter Vergangenheit. Ich hoffe, dass sich aus der Steppe auf dem Campus bald wieder der vormals schöne Rasen entwickeln kann! Es ist ungeheuerlich heiss und trocken hier, aus grün wird allerorts braun: