Samstag, 17. Oktober 2009

Architektour

In unserer Zeit in Berlin werden wir des Öfteren architektonische Streifzüge durch die verschiedenen Berliner Bezirke unternehmen. Soviel steht fest. Einen ersten solchen Rundgang konnten wir kürzlich machen. Die Rally führte uns vom brandneuen Hauptbahnhof durch das Regierungsviertel zum Brandenburger Tor – Sinnbild des wiedervereinigten Deutschlands – am Ende des Prachtboulevards Unter den Linden. Das Fazit vorne weg: Es ist nicht alles Gold was glänzt! Doch der Reihe nach…

Der Lerther Bahnhof, wie der HB auch heisst, scheint mir als Laie ein typisches Beispiel unserer Zeit zu sein: Transparenz durch Glas. Glas ohne Ende. Und ich muss sagen, das gefällt mir grundsätzlich ganz gut. Das gilt jedenfalls für den neuen Berliner Zentralbahnhof, der ein immenses Projekt mit dementsprechend gewaltigen Kosten war. Aber schon nur die Tatsache, dass die Züge auf zwei unterschiedlichen Levels in zwei einerseits in West-Ost-Richtung und andererseits im Untergrund ebenfalls in Nord-Süd-Richtung verlaufen, stimmt mich nahezu euphorisch. Ich als Landei habe sowas in dieser Grössenordnung noch nie gesehen! Auch noch nie gesehen habe ich, dass ein Bahnhof so peripher liegt wie der Berliner HB: Rund um das Bahnhofsgebäude herum, welches übrigens wie der Innenausbau des Olympiastadions auch von GMP aus Hamburg geplant wurde, befindet sich zurzeit nicht viel mehr als nichts. Aber: Macht nicht gerade dies Berlin so spannend? Wo in Europa gibt es sowas noch? Ich jedenfalls glaube, dass unsere Nachkommen, wenn sie den Berliner HB in 50 Jahren oder so betrachten, eher Beifall spenden werden denn ästhetische Kritik üben müssen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Nachbargrundstücke rund um das Humboldt-Becken ebenfalls positiv entwickelt sein werden.

Gelungen finden wir auch das Reichstagsgebäude. Hier bestechen nicht nur die gekonnten Umbauarbeiten von Foster & Partners – die Kuppel ist frech – sondern auch die Geschichtsträchtigkeit des Ortes. Man atmet förmlich die wilhelminische Architektur des repräsentativen Klotzes und fühlt sich zurück versetzt in historische Stunden! Ein Ort zum inne halten mamma mia.

„Mamma mia“ krächze ich auch, wenn ich mich dem „Band des Bundes“ zuwende. Dieses schliesst sich nördlich an den Reichstag an und bezeichnet eine gerade Linie von neuzeitlichen Regierungsgebäuden, welche in ihrer Anordnung ein Symbol sind für die Verbindung der zwischenzeitlich geteilten Ost- und Westteile der Stadt. Diese Symbolik mag ich ja noch akzeptieren. Symbole sind menschlich, allzu menschlich… Aber ich würde ein „organischeres“ Anschmiegen einer höherwertigen baulichen Substanz an die Spreebögen zweifellos bei weitem bevorzugen. Stattdessen durchkreuzen die Gebäude auf brutale und beinahe ignorante Art und Weise den Lauf des Flusses. Deshalb ein unmissverständliches LEIDER NEIN von meiner Seite.

Für eine Beurteilung des Pariser Platzes am Brandenburger Tor fehlen mir die Nerven, und der Milchkaffee im WLAN-Café ist auch alle. Doch, eins muss ich noch erwähnen: Als ich 2004 hier war, hat mir der PP nicht gefallen. Heute, 2009, bin ich dezidiert anderer Meinung. Irgendwie – ich kann und will es vor allem nicht erklären – finde ich den Ort jetzt ziemlich elegant. Wenn nur die ganzen Massen an erbärmlich gekleideten Touristen nicht wäre und statt dessen Kutschen über den Platz gleiten würden und vor dem Hotel Adlon wahre Staatsmänner hofieren würden.