Freitag, 19. März 2010

Wandeln mit Henselmann

Heute tauchten wir ein in den Sozialistischen Realismus. Die Karl-Marx-Allee - früher strengerweise Stalinallee genannt - ist für mich wie ein 1.7km langes Freilichtmuseum. Noch heute, 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Untergang des sozialistischen Teils von Deutschland, finden sich hier gewisse Obskuritäten: Auf der ganzen Länge dieser Magistrale findet sich so gut wie kein Supermarkt. Dafür zählten wir ungefähr zehn Reisebüros. Ein herrlich diversifiziertes "Markt"angebot... Allerdings muss man auch zugeben: Wenn etwas Sinn gemacht haben muss, dann waren es Reisebüros, welche der DDR-Bevölkerung prächtige Palmenstrände - oder vielleicht eher sozialistische Gesangs- und Turnvereinsausflüge nach Polen - versprachen.


Beim oben abgebildeten Gebäude zwischen Frankfurter Tor und Strausberger Platz verweilten wir in einem Café mit angegliederter Buchhandlung. Für drei Euro konnte ich hier zwei Werke von Albert Camus sowie 'Der Ekel' von Jean-Paul Sartre erstehen. Ein ausgezeichnetes Geschäft wie ich finde.

Auf dem Bild unten sieht man den überdimensionierten Strausberger Platz. Hier endet, aus östlicher Richtung kommend, die ornamentale und monumentale Zuckerbäcker-Architektur. Marschiert man weiter westlich in Richtung Alexanderplatz und Fernsehturm wird es nun moderner. Dies war ganz im Sinne des Chefarchitekten des sozialistischen Teils von Berlin, Hermann Henselmann. Aus seiner Feder stammen beispielsweise das wunderbare 'Haus des Lehrers' und die Kongresshalle beim Alexanderplatz. Die ansonsten schönsten Gebäude stammen meines Erachtens zudem von Josef Kaiser. Er verwirklichte entlang der KMA die Kinos 'International' und 'Kosmos' sowie das 'Café Moskau'; allesamt Perlen der Moderne!

Die beiden unten folgenden Fotos zeigen Gebäude in der unmittelbaren Nähe des Alexanderplatzes. Besonders bemerkenswert ist hier die lächerliche Leere der Karl-Marx-Allee. Man möchte meinen, dass man sich grundsätzlich im Zentrum der Stadt befinde. Doch weit gefehlt. Auf dem 'Alex' herrscht meistens ziemlich viel Passantenverkehr. Es gibt den touristisch beliebten Fernsehturm, zwei grosse Einkaufszentren, oftmals irgendwelche jämmerlichen Märkte und auch sonst ziemlich viel Betrieb. Biegt man hingegen rechts ab in die KMA sieht man sich urplötzlich mit gähnender Leere konfrontiert. Die Strasse ist, abgesehen vom ebenfalls moderaten Verkehr, fast gänzlich leer gefegt. Etwa so, wie wenn im Fernsehen ein WM-Final zwischen Deutschland und England ausgestrahlt würde.


Übrigens: Im Hochhaus oben befindet sich im obersten Stockwerk ein beachtlicher Club, das 'Weekend'. Seit Jahren legen hier tolle DJs ihre Platten auf. Ich war einmal Zeuge eines gelungenen Sets von Move D, seines Zeichens ein Meister der elektronischen Musik. Doch leider ist die Berliner Szene weiter gezogen, worunter offensichtlich die Atmosphäre im Club gewaltig leidet. What a pity!