Mittwoch, 27. Oktober 2010

C. G. Jung

Ich verstehe bedauerlicherweise kaum etwas von Psychologie. Jedenfalls nicht aus dem Ursprungsbereich der Alma Mater. Trotzdem interessiere ich mich selbstverständlich für das Verhalten des Menschen und dessen persönliche Entwicklung. Was lag also als Urlaubslektüre näher als die Autobiographie des berühmten Schweizer Psychologen C. G. Jung? Nichts, wie ich offensichtlich zu vermuten geneigt bin.


Der Titel dieses Buches ist "Erinnerungen, Träume, Gedanken von C. G. Jung"; es erschien zu Beginn der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, also zeitgleich mit dem bedauerlichen Ableben dieser höchst eindrücklichen Person. Zurzeit lese ich noch die letzten Kapitel. Aus spontanem Anlass der Freude über das Gelesene möchte ich einige allgemein verständliche Zeilen aus dem Kapitel "Über das Leben nach dem Tode" zitieren:

"Weder wünsche ich, noch wünsche ich nicht, dass wir ein Leben nach dem Tode hätten, und ich möchte auch dergleichen Gedanken nicht kultivieren; aber ich muss, um die Wirklichkeit zu Worte kommen zu lassen, feststellen, dass ohne meinen Wunsche und ohne mein Zutun Gedanken solcher Art in mir kreisen. Ich weiss nichts darüber, ob sie wahr oder falsch sind, aber ich weiss, das sie vorhanden sind und das sie geäussert werden können, falls ich sie nicht aus irgendwelchem Vorurteil unterdrücke. Voreingenommenheit behindert und beschädigt aber die volle Erscheinung des psychischen Lebens, das ich viel zu wenig erkenne, um es durch ein Besserwissen korrigieren zu können. Neuerdings hat die kritische Vernunft neben vielen anderen mythischen Vorstellungen auch die Idee des postmortalen Lebens anscheinend zum Verschwinden gebracht. Dies war nur darum möglich, weil die Menschen heutzutage meist ausschliesslich mit ihrem Bewusstsein identifiziert sind und sich einbilden, nur das zu sein, was sie selber von sich wissen. Jedermann, der auch nur eine Ahnung von Psychologie hat, kann sich leicht Rechenschaft darüber geben, wie beschränkt dieses Wissen ist. Rationalismus und Doktrinarismus sind unsere Zeitkrankheit; sie geben vor, alles zu wissen. Man wird aber noch vieles entdecken, was wir heute von unserem beschränkten Standpunkt aus als unmöglich bezeichnen. Unsere Begriffe von Raum und Zeit haben eine nur annähernde Geltung und lassen daher ein weites Feld relativer und absoluter Abweichungen offen. Aus Rücksicht auf solche Möglichkeiten leihe ich den wunderlichen Mythen der Seele ein aufmerksames Ohr und beobachte das Geschehen, das mir widerfährt, gleichgültig, ob es meinen theoretischen Voraussetzungen passt oder nicht. Leider kommt die mythische Seite des Menschen heutzutage meist zu kurz. Er kann nicht mehr fabulieren. Damit entgeht ihm viel; denn es ist wichtig und heilsam, auch von den unfasslichen Dingen zu reden. Das ist wie eine gute Gespenstergeschichte, bei der man am Kaminfeuer sitzt und eine Pfeife raucht."