Montag, 14. November 2011

Neoromantik


Vergangenes Wochenende waren wir im Kino. Wir wollten uns unbedingt Melancholia ansehen, den aktuellen Film des dänischen Regisseurs Lars von Trier. Ich mochte den Film, fand ihn aber gleichzeitig auch bedrückend. Ist ja aber irgendwie auch verständlich, schliesslich dröhnt der Planet Melancholia unaufhaltsam auf unsere Erde zu und droht alles zu zerstören. Zerstören? Jein. Das kommt jetzt eben auf die Leseart an. 


In meiner Leseart weist der Film beträchtliche Parallelen auf zu Tree of Life, dem ebenfalls erst kürzlich aufgeführten Film von Terrence Malick. So wird das Leben in beiden Filmen im Kosmos eingebettet - im grossen Ganzen und im Entstehen und Vergehen von Leben. Dies geschieht einerseits auf visueller Ebene, denn beide Filme blenden immer wieder Bilder oder Filmsequenzen des Universums und anderer extraterrestrischer Phänomene ein. Andererseits geschieht es aber beispielsweise auch durch die Darstellung der Frage, wie die Menschen gewissen unausweichlichen Dingen wie dem Tod und der Liebe gegenüberstehen; wie sie also ihre Rollen in eben jenem ewigen Kreislauf aus Entstehen und Vergehen wahrnehmen.


Interessanterweise zeigen nun auch unter diesem Aspekt beide Filme einander sehr ähnliche Muster. Im Falle der Hauptfiguren von Melancholia leiden in Anbetracht des unaufhaltsamen Schicksals allen voran der wissenschaftsgläubige John und dessen im Alltag erfolgreiche und pragmatische Frau Claire. Bei Tree of Life wiederum sehen wir insbesondere Brad Pitt in der Rolle des strengen und autoritären Familienvaters Mister O'Brien mit dem Verlust seines Sohnes und dem Zustand der Gesellschaft hadern. Allgemein interpretiert zeigen die beiden Filme deshalb meines Erachtens das Scheitern respektive Leiden und die Überforderung rationaler und vernunftorientierter Menschen. Die in der "normalen Welt" depressive Justine erträgt das Schicksal als instabile und emotionale Person im Angesicht von Melancholia jedenfalls wesentlich besser als ihr Lebensumfeld. Und auch in Tree of Life liegt die Erlösung für Herrn O'Brien quasi im Loslassen vom Rationalen.

Ist es Zufall, dass gerade in dieser Zeit zwei solche Filme produziert werden, die dann auch noch ausgezeichnet und vom Publikum sehr gut angenommen werden? Oder steckt dahinter vielleicht ein Unbewusstes? Etwas was die Kollision zweier Planeten potentiell nicht als Zerstörung betrachtet, sondern als etwas Unbewertetes? Wird hier sowohl durch die bloße Produktion solcher Filme als auch durch deren Inhalt bewusst oder unbewusst auf eine Abkehr von der Fokussierung auf das Rationale hingewiesen?

Die "westliche" Welt der Gegenwart wird geprägt von ökonomischen und politischen Krisen, von Markt- und Staatsversagen wie der Ökonom sagen würde. Dazu kommt, man vergisst es fast, die vermeintlich menschgemachte Krise der Natur. Diese Krisen und die ihnen zugrunde liegenden Mechanismen übersteigen dabei aufgrund ihrer immensen Komplexität das Vernunftvermögen von vermutlich fast allen Menschen. Dies kann von den Individuen wiederum und vorrangig unbewusst als Scheitern der Rationalität und Vernunft aufgefasst werden. Das Resultat wäre dann wahrscheinlich die schrittweise Abwendung der Menschen von diesen Paradigmen.


Wie kann diese Abkehr aussehen? Ein Beispiel könnte vielleicht das urbane Gärtnern darstellen. Was ist nämlich die Motivation der urbanen Gärtner? Ich weiss es natürlich nicht, vermute aber, dass es mit einer Sehnsucht nach Natur und Erdverbundenheit zu tun haben könnte. Dahinter, also hinter dieser Sehnsucht, steht möglicherweise eine Abwendung vom Rationalen und Vernünftigen, eine Hinwendung vom überfordernden Komplexen hin zum erfahr- und lebbaren Einfachen. Oder von mir aus eben gerne auch zum Mystischen, zum Wunderlichen, zum Emotionalen und Ungeordneten. Zu was auch immer; Hauptsache es sprengt die Maximen der Rationalität und Vernunft.

Bei mir selbst beobachte ich ebenfalls seit einigen Monaten eine große Lust auf die Lektüre von Arthur Schopenhauer. Ich rufe deshalb den Dezember auch gleich zum Schopenhauer-Monat aus. Zudem platziere ich meine Wette auf die Formung einer Epoche der Neoromantik - falls die Welt nicht vorher untergeht. Oder glaubt wirklich jemand ernsthaft daran, dass es Zufall ist, dass Melancholia ganz oft in einem blauen Farbton daher kommt und Tristan und Isolde eine dermassen prominente Rolle einnehmen? Arthur doesn't care anymore anyway.