Montag, 30. August 2010

Das Killerschnitzel

Neulich, genau gesagt vor einer Woche, war ich im Restaurant Austria an der Bergmannstrasse in Kreuzberg. Nicht im wilden Ostkreuzberg sondern im schicken Teil des Bezirks im Westen. Ich wollte meinen Bruder dort auf ein Wiener Schnitzel einladen. Wie man sich wahrscheinlich unschwer vorstellen kann ist jedoch Schnitzel a priori nicht gleich Schnitzel. Klar, einige Merkmale sind dem Wiener Schnitzel selbstverständlich nicht abzusprechen, beispielsweise die Tatsache, dass es immer paniert auf dem Teller landet. Aber ich will hier jetzt nicht im Detail die Ontologie des Wiener Schnitzels erörtern. Nein. Erzählen möchte ich jedoch gerne, wie sich ein Abend im Austria ungefähr abspielen kann:

Es war einmal ein siegessicherer und adrett gekleideter junger Bursche. Er gilt gemeinhin als der Traum aller Schwiegermütter, kann aber auch anders. Wer ihn kennt weiss das. Wer ihm Vodka in die Mate kippt weiss es danach auch. Wie dem auch sei, vor dem Bestellen verkörperte er wie angedeutet eine an Arroganz grenzende Siegessicherheit:


Die Karte brauchten wir nicht. Man hat ja nicht ewig Zeit. Wir bestellten also dreimal das Wiener Schnitzel, davon einmal die 'Frauenportion' *räusper*. Der Held des Tages bestellte ausserdem, übermütig wie der Jungspund nunmal noch ist, einen kleinen gemischten Salat. Wie das so ist zwischen Schweizern und herrlichen Österreichern: der Kellner verstand kein Wort und brachte den Salat gleichzeitig mit dem Schnitzel. Vorher gab es immerhin ein schmackhaftes Ziper!

Dann kam das Kalb. Und dazu, auf dem Extrateller, der prächtige Gurkensalat. Der Junge konnte nun eine gewisse Vorfreude nicht verheimlichen:


Meine Wenigkeit wollte hingegen schon lauthals einen Fluch in Richtung des Kellners richten: "Wo ist bitte der Ärdapfelsalat, der Herr?" Nur in letzter Sekunde bemerkte ich zwischen den beiden Kalbshälften etwas hindurch schimmern. Ach ja, der Kartoffelsalat befindet sich natürlich vollständig unter (!) dem Schnitzel, wie kann man das bloss übersehen?

Die Schlacht konnte beginnen! Ich wurde beim Anblick der Speisen etwas gar proletenhaft und posaunte: "Ahhh geeeeil frässsä!" Die bürgerlichen Tischnachbarn schwankten wohl schon zwischen erquickendem Amüsement und innerlichem Erschaudern ab dem lästigen Pöbel. Egal.

Etwa nach der Hälfte des Schnitzels kam der Ober diabolisch grinsend angeschlichen: "Ja mai, schmeckts Euch?" Mein Bruder brachte nur ein schmatzendes "Ist der Wahnsinn!" über die Lippen. Daraufhin der Ober: "Gut Junge, weitermachen!" Einfacher gesagt als getan, und das wusste dieser Teufel. Nicht unpassend erwiderte mein Bruder daraufhin, während einer der seltenen Atempausen: "I muess Gas gä süsch hautis nid dürä!" Sagte es und ass noch schneller, damit ihn das Sättigungsgefühl nicht einzuholen vermochte. Cleveres Bürschchen!

Bald kam der inzwischen fliegende Österreicher wieder und fragte abermals nach: "Ist soweit alles tragbar?". Sehr charmant; denn um die Tragfähigkeit ging es nun allemal. Bei mir war Schluss: "Hey nei cha nüm he!" Mein Bruder und meine bessere Hälfte mit ihrer damenhaften Portion von nur einem statt zwei Killerschnitzel gingen derweil vor dem ungütigen Sättigungsteufel durch die Zielgerade. Heldenhaft. Das verdiente zweifellos eine von mir spendierte Runde Schnapps.

Zuerst waren wir jetzt aber in Kampfeslaune; sind ja auch störrische Bergmenschen, die lassen sich nicht so leicht entmutigen. Dem Kellner verging sein schelmisches Grinsen spätestens dann, als nicht nur Schnitzel und Salat meines ehrenhaften Bruders weg waren, sondern dieser jetzt auch noch breitbeinig und mit Zahnstocher zwischen den Zähnen einen Kaiserschmarrn bestellte. Sakrileg! Und obwohl es eine läppische Floskel sein mag: Wer zuletzt lacht, lacht halt doch am besten. Gesenkten Hauptes und sein kleinlautes Einverständnis murmelnd humpelte er davon. So schmecken Niederlagen.

Der Kaiserschmarrn für uns drei Musketiere war indes ebenso lecker wie davor die Hauptspeisen. Aber ob lecker oder nicht, der Schnapps musste trotzdem noch rein. Danach schleppten auch wir uns in die Dunkelheit davon. Wohlwissend, heute einen historischen Triumph gefeiert zu haben: Das Austria-Schnitzel war, bis auf einen bescheidenen Anstandsrest auf meinem Teller - moderne Helden in der Grossstadt zeigen auch in ihrer grössten Stunde eine Spur Manieren -, wie vom Erdboden verschluckt.