Montag, 24. Oktober 2011

City of London


Die City of London ist ein seltsames Stück Land. Oft wird sie nur City genannt oder Square Mile, denn letzteres entspricht fast ihrer tatsächlichen Größe. Auf diesen umgerechnet etwas weniger als drei Quadratkilometer leben auch nur gut 11'000 Leute. Dementsprechend ruhig ist es in einzelnen Ecken der City am Wochenende auch. Unter der Woche sieht es allerdings anders aus.

Gemäß der  städtischen Behörde arbeiteten 2008 etwas über 300'000 Menschen in der City, wovon alleine 50'000 im Bankwesen beschäftigt waren. Um die Jahrtausendwende waren es sogar noch über 20'000 Banker mehr, die sind aber vermutlich in Horden nach Canary Wharf "strafversetzt" worden, wie es unser Gastgeber bei einer Investmentbank in der City wohl ausgedrückt hätte.

Die City konkurriert hinsichtlich ihrer räumlich extrem gebündelten Bedeutung als Knotenpunkt internationaler Finanzströme eigentlich nur mit der New Yorker Wall Street. So ist London beispielsweise der bedeutendste Handelsort der Erde für Devisen: 2007 wurde über ein Drittel aller weltweiten Devisenhandelsgeschäfte über London abgewickelt. Und heute habe ich in der S-Bahn im Economist gelesen, dass 70 % aller globalen Aktienhandelsgeschäfte über London, New York und Hong Kong laufen würden. Was wir hier sehen, ist das in meinem kürzlichen Blogpost über Canary Wharf angedeutete Phänomen der Global Cities, welche Kontroll- und Steuerungsfunktionen der Weltwirtschaft räumlich bündeln.

In den letzten Jahren entstanden im Einklang mit diesem Geschäftsmodell nun zunehmend und gegen den vermutlich erbitterten Widerstand von English Heritage eine Reihe mehr oder weniger spektakulärer Bürohochhäuser. Das bekannteste ist zweifellos die Gurke von Norman Foster, über den mein Chef kürzlich aus mir noch nicht bekannten Gründen geflucht hat. Auch wenn es niemanden interessieren dürfte, aber ich war und bin seit Beginn der Bauarbeiten begeistert von diesem Gebäude und empfehle deshalb auch den Film über die Entstehungsgeschichte der Londoner Ikone der 2000er Jahre.


In unmittelbarer Nähe (auf dem Foto unten sieht man die Gurke im Hintergrund) steht auch das für die Postmoderne symbolische Lloyds Gebäude vom zweiten Stararchitekten aus London, Richard Rogers.


In den nächsten Jahren werden insbesondere mit dem Pinnacle (288 Meter) und dem Walkie Talkie (160 Meter) noch weitere relativ bemerkenswerte Gebäude errichtet werden und der City damit endgültig ein CBD-Gesicht mit Einzelgebäuden aus unterschiedlichsten Architekturepochen verpassen - ein bemerkenswerter Unterschied beispielsweise zu den Retorten-Geschäftsvierteln wie Canary Wharf, die aufgrund ihrer in kurzer Zeit erfolgten Entwicklung zumindest heute noch eine meist ziemlich einheitliche Architektursprache sprechen. In der City ist das wie gesagt anders. Hier trifft Steinaltes (auf dem untersten Bild: St. Paul, Englands Heiligtum, so gesehen vom Dach des Einkaufszentrums One New Change) auf Futuristisches.




Drei Anmerkungen wollte ich noch machen, die indirekt viel mit der City zu tun haben und die ich für erwähnenswert halte insbesondere für Vergleiche mit meiner Wahlheimat Berlin.

1) In U-Bahnen fand ich auf zahlreichen Fahrten durch die Innenstadt Londons nur zirka zweimal einen Sitzplatz. Uhrzeit egal.
2) Geschätzt auf jeder zweiten Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln sah ich mindestens ein iPad von Apple in meiner nahen Umgebung.
3) In London laufen sehr viele Leute in Anzügen durch die Stadt.

Berlin hat keine City - und zwar nicht erst seit gestern. Das Verhältnis, wie oft ich bei meinen Fahrten mit dem öffentlichen Verkehr einen Sitzplatz finde, ist hier etwa das Gegenteil: Auf zahlreichen Fahrten finde ich zweimal keinen Sitzplatz. Morgens auf dem Weg zur Arbeit stehe ich einmal im Monat. Die Tablets von Apple sehe ich so gut wie nie. Dasselbe gilt für Leute in Anzügen, sie sind eine seltene Spezies in den allermeisten Stadtteilen.

Insbesondere der iPad-Index dürfte relativ aussagekräftig sein hinsichtlich der ökonomischen Power und Bedeutung einer Stadt. Das Gerät ist ziemlich teuer, man braucht es nicht wirklich - aber es ist saugeil und zurzeit noch ein ziemlich begehrtes Statusobjekt. Deshalb ist es für mich irgendwie ein bisschen zum Symbol dieser London-Reise geworden.

Und im Übrigen gefällt mir die Entspanntheit Berlins ja im Grunde genommen ganz gut. Besonders das Platzangebot in öffentlichem Verkehr und auf Straßen ist mehr ein Segen als etwas anderes. Die Stadt mit ihren über drei Millionen Einwohnern wirkt nach London fast wie ein verschlafenes Dorf. Aber die Anzüge fehlen mir schon ein wenig. Klar, sie mögen für manche Symbol des verhassten Kapitalismus sein. Das ist mir in erster Linie jedoch erstmal nicht so wichtig. Zudem kann Entspanntheit leicht mit affiger Nachlässigkeit verwechselt werden. Ich begrüsse die Präsenz von Anzügen und Krawatten schon alleine aus ästhetischen Gründen. Viele Leute sehen darin einfach besser aus und die städtische Szenerie gewinnt durch talentierte Anzugträger ein mir willkommenes Mehr an Eleganz und Haltung. Das Problem ist bloss, dass mehr Anzugträger eine stärkere Wirtschaft bedeuten, was einen höheren Druck auf den Immobilienmarkt bedeutet, was in der Tendenz weniger Freiräume bedeutet, was weniger Clubs wie das About Blank oder die Renate bedeutet, was weniger Einzigartigkeit für Berlin bedeutet. But there is no such thing as a free lunch.


P.S. Am Samstag waren wir im Kino und haben uns Margin Call angesehen, den Film über die Tage vor dem Untergang der Investmentbank Lehman Brothers. Sehenswert! Der Equitiesfloor in der Investmentbank, welche wir vorletzte Woche in der Londoner City besuchten, war einiges schöner als der schmuddelige Floor der Brothers in Manhattan. Aber in beiden Fällen sitzen die BSD ja sowieso auf dem Bondfloor, nicht wahr, Herr Lewis?